Wir leben in völlig verrückten Zeiten. Nicht nur die politische Stimmung in den USA und in vielen Ländern der Welt ist extrem aufgeheizt, sondern auch die Tatsache, dass die Welt live miterlebt, wie ein ehemaliger Präsident der USA angegriffen wird.
Ich nehme hier keine Stellung zu politischen Meinungen oder Ansichten, ich beschreibe lediglich das Foto und den Moment aus fotojournalistischer Sicht.
Welche Rolle Evan Vucci hier spielt und was sein Bild vom Trump-Attentat bewirkt, möchte ich in diesem Artikel kurz bewerten. Ich bin fasziniert, praktisch genau zu sehen, wie eine fotografische Ikone entsteht und welche schrecklichen Ereignisse der Welt offen präsentiert werden.
Die Entstehung einer Foto-Ikone
Ich war wirklich überrascht, als ich nur zwei Tage nach dem Attentat auf Donald Trump dieses Video entdeckte. Es zeigt den Fotografen Jabin Botsford, der mit einer Bodycam genau den Moment der Entstehung des Fotos filmt. Aus rein fotojournalistischer Sicht ist es äußerst spannend, wie Jabin reagiert und fotografiert hat.
Nicht nur zu realisieren, was in dem Moment passiert ist, sondern auch die eigene Gefahrenlage beiseite zu schieben und die wenigen Sekunden festzuhalten, zeichnet diesen einminütigen Clip aus.
Sicher, Evan Vucci und Jabin Botsford waren zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Ort, etwas Glück gehört immer dazu. Aus eigener Erfahrung kann ich jedoch sagen, dass es darüber hinaus um eine Art „Antizipation des Moments“ geht – dem Gefühl in dem Moment zu folgen und fokussiert alle wichtigen fotografischen Entscheidungen zu treffen. Vereinfacht gesagt: „Erst machen, dann denken“.
Genau das haben Jabin, Vucci und die anderen Fotografen vor Ort dokumentiert. Allerdings zeigt das Video nicht Vucci, sondern Jabin Botsford. Was es nicht weniger interessant macht.
Jabin schreit nicht, schaut sich nicht um oder läuft weg – er nimmt die Kamera (übrigens eine Alpha 9 MK II und 50 mm 1.2 GM drauf) und trifft in den etwa 40 Sekunden eine Reihe von Entscheidungen und beginnt, die Bilder bzw. die Situation zu komponieren. Klingt komisch, denn niemand konnte ahnen, welchen Geistesblitz Trump kurz danach folgt und sich kämpferisch zeigt.
Das ist genau die „Antizipation“, die ich meine, denn Jabin läuft von der Seite nach vorn, weil er ahnt, dass hier etwas Wichtiges passieren könnte. Wie ein Stürmer im Fußball, der in die Lücke läuft und damit die Grundlage für einen Torschuss kreiert.
Er hält die Kamera nach oben und nutzt nicht den Sucher; auch das trägt zu einer gewissen Übersicht bei und hilft ihm einzuschätzen, was passieren könnte. Die 30 Bilder pro Sekunde der A9 Mark II helfen ihm natürlich, aber die Komposition, die er wählt, zeichnet sein Können und seine Erfahrung aus.
Nicht nur das Bild selbst ist beeindruckend, sondern auch das Video. Ich kenne kein Beispiel, in dem ein solch bedeutender fotografischer Entstehungs-Moment auf Video festgehalten wurde. Einzigartig! Jeder, der sich für Fotojournalismus interessiert, bekommt hier ein beeindruckendes, echtes Beispiel für die Arbeit eines Fotografen im Umfeld des Journalismus.
Auch wenn die Ereignisse aktuell nur wenige Tage zurückliegen, bin ich mir sicher, hier ist ein großes Bild entstanden. Ein Dokument wichtiger Zeitgeschichte, nicht nur aus fotografischer Perspektive, sondern auch aus politischer und sozial-gesellschaftlicher.
Das Foto und dessen gestalterische Bedeutung
Das erste Foto, welches mir parallel in den Sinn kam, ist eines der wichtigsten in der amerikanischen Geschichte.
„Raising the Flag on Iwojima“ von Joe Rosenthal zeigt das Hissen einer US-Flagge durch sechs Soldaten auf einem Berg während der Schlacht um Iwojima. Dieses Foto gilt bis heute als eines der am häufigsten reproduzierten Fotos der Welt und als ein anschauliches Beispiel für eine gelungene „Dreiecks-Komposition“. Dabei handelt es sich um eine Kompositionstechnik, bei der die Hauptmotive des Bildes so angeordnet werden, dass sie ein imaginäres Dreieck bilden. Diese Methode wird verwendet, um das Auge des Betrachters auf natürliche Weise zu führen.
Genau eine solche Komposition weist auch das Trump-Attentat-Foto auf. Trumps Faust bildet die Spitze, die beiden männlichen Köpfe der Secret-Service-Agenten die Ecken. Die Frau im Vordergrund schmiegt sich um Trump und bildet damit ein weiteres Dreieck. Insgesamt wird der Blick so ganz natürlich zu Trumps Gesicht und Faust geführt.
Die verdrehte Flagge im Hintergrund gibt dem Bild noch mehr Kontext und unterstützt zugleich die chaotische Situation. Trumps verletztes Ohr ist zwar klar zu sehen, aber dennoch subtil genug, dass die Bedeutung erst im zweiten Moment nachwirkt.
Noch heldenhafter als auf diesem Bild kann ein Ex-Präsident, der wenige Sekunden vorher eine Kugel an seinem Ohr vorbeifliegen spürte, nicht wirken. Auch wenn vieles in diesem Moment zufällig zusammenkommt, hat es Vucci geschafft, ein Bild zu erzeugen, das kaum besser gestaltet sein könnte.
Es existieren hierbei mehrere Versionen, die unterschiedliche Sekunden dieses Moments zeigen; dieses hier empfinde ich als das gestalterisch stimmigste.
Das Foto, die inhaltliche Kraft, Wirkung und Bedeutung
Ein solches Foto, das ich in diesem Zusammenhang als zeitgeschichtliches Dokument betrachte, kann gewaltige und weite Strahlkraft entwickeln, gerade in den digitalisierten Zeiten von heute.
Hier trifft der oft abgedroschene Spruch „Ein Bild sagt mehr als tausend Worte“ den Nagel auf den Kopf. Oder anders ausgedrückt: Visuelle Eindrücke übertreffen oft sprachliche Beschreibungen, und das zeigt dieses Foto ganz klar.
Der große Meister des Moments, Henri Cartier-Bresson, hat einmal gesagt: „Ein gutes Foto ist ein Foto, das man länger als eine Sekunde betrachtet.“ Dieses Bild hat so viel Wirkung, dass ich mich daran gar nicht sattsehen kann.
Evan Vuccis Foto ist ein Bild, das sich garantiert in das kollektive Gedächtnis brennen wird. Es steht für viele politische und gesellschaftliche Fragen und Probleme in den USA und darüber hinaus. Mehr noch, dieses Bild wird die nahe Zukunft mitgestalten, denn es ist ein Dokument, das durch gekonnte Instrumentalisierung genutzt wird, um Trumps Wiederwahl zu fördern. Es ist verrückt, wie geistesgegenwärtig Trump genau das in so einer dramatischen Situation provoziert hat.
Die absichtlichen Handlungen des Schützen und Trumps Inszenierung, kombiniert mit dem Können von Fotografen wie Vucci, schaffen eine Realität, die auf einzigartige Weise Schrecken und Faszination vereint.
Ich bin gespannt, wie der Blick auf diesen 13. Juli 2024 in wenigen Monaten oder Jahren ausfällt. Eins ist aber sicher: Dieses Foto wird auch dann eine große Bedeutung in sich tragen.