Deep Nostalgia – wenn KI und Deep-Fake die Grenzen sprengen
Buzzwörter wie Künstliche Intelligenz, Deep-Fake oder Machine Learning rücken mehr und mehr in unsere Gesellschaft. Auch in der digitalen Branche macht die Technologie und deren Gedanken dahinter keinen Halt.
Deep Nostalgia von MyHeritage geht hier nun einen interessanten nächsten Schritt: Animiere Fotos längst vergangener Tag genauer gesagt verstorbener Personen.
Was es damit auf sich hat und warum ich das nicht nur positiv bewerte, darüber schreibe ich in diesem Artikel. Ein paar Beispiele habe ich auch mit gebracht.
Was ist Deep Nostalgia überhaupt?
Hinter Deep Nostalgia steckt der eine israelische Firma namens MyHeritage. Zu Deutsch also „Mein Erbe“. MyHeritage ist eine Genealogie-Plattform mit dem Ziel die eigenen Ahnen zu erforschen. Hier kannst Du Deinen eigenen Stammbaum anlegen und Deine Familie so zurück konstruieren. Im Prinzip eine moderne Art mehr über sich selbst und seine Familie herauszufinden.
So kannst Du z. B. Einen Gen-Test machen, dieser wird dann von den MyHeritage Laboren ausgewertet und Du erfährst aus welcher Region dieser Welt Du eigentlich abstammst. So ein Test kann auch helfen, vergessene oder nicht bekannte Verwandte zu finden. Irgendwie musste ich dabei an „Julia Leischik sucht“ denken, nur eben etwas diskreter und wahrscheinlich auch deutlich schneller.
Doch, was ist nun Deep Nostalgia?
Auf der Website steht dazu folgendes:
„Die bemerkenswerte Technologie zum Animieren von Fotos wurde von MyHeritage von D-ID lizenziert, einem Unternehmen, das sich auf die Nachstellung von Videos mithilfe von Deep Learning spezialisiert hat. MyHeritage hat diese Technologie integriert, um die Gesichter in historischen Fotos zu animieren und qualitativ hochwertiges, realistisches Videomaterial zu erstellen. Die Deep Nostalgia™ Funktion verwendet mehrere von MyHeritage angefertigte Treiber. Jeder Treiber ist ein Video, das aus einer festen Abfolge von Bewegungen und Gesten besteht.“
Treiber? Das erinnert mich an schreckliche Windows Zeiten, ständige Meldungen und ewiges Gesuche nach dem richtigen Treiber für die Grafikkarte.
Doch vereinfacht gesagt passiert Folgendes:
Wenn Du ein Bild hochlädst, werden Gesichter analysiert, die Bilder grafisch verbessert und im nächsten Schritt eine Art Vorlage auf die Bilder gesetzt. Diese Vorlagen sind vorab aufgenommenen Film-Sequenzen von vielen hunderten Menschen. Das sind im Prinzip 3D-Modelle, die wie eine Art Blaupause dienen.
Das Interessante daran ist vor allem der verdammt gut wirkende Realismus. Die Gesichter bewegen sich von links nach rechts, blicken nach oben und unten. Es ist genau so, wie in den Harry Potter Bildern und der in ihnen lebenden Geister.
Wenn Tote zum Leben erwecken
Ich habe das ganze getestet und mir dafür drei Beispiele überlegt:
1. Die Fotografie Legende Henri Cartier Bresson einmal so sehen, wie er vielleicht in Wirklichkeit war.
2. Ansel Adams, der wohl größte Landschaftsfotograf des 20. Jahrhunderts und so könnte er sich bewegt haben.
3. Die 2018 verstorbene Oma meiner Freundin. In diesem Beispiel bin ich wohl auch am kritischen Punkt angekommen. Denn damit möchte ich diesen Beitrag eine tiefe und die Frage aufschlagen, was ist eigentlich Hauntologie, ein Deep-Fake und wie weit darf KI gehen?
Der Spiegel tituliert in einem Artikel ihrer Artikel „digitale Zombies“ und kann es wohl kaum besser treffen. Dort wird über „Heimkehrschmerz“ und verpassten Chancen der Toten, auf einem unserer Erzählstrategien wie Film verbannt worden zu sein, geschrieben.
Folgend schauen wir uns die drei Beispiele einfach mal an:
Henri-Cartier Bresson
Bresson, einer der größten Fotografen der letzten 100 Jahre und einer der besten „Glücksjäger“ des Moments. Was würde Bresson wohl zu dieser neuen Technologie sagen? Lieder werden wir ihn nie befragen können, jedoch vermute ich, hätte er kein gutes Wort darüber verloren. Denn was er verfolgte, war das, puristisch echte in dem Momente. Echt ist mit der Technik um Deep Nostalgia nur die Vorlage.
Ansel Adams
Ansel Adams, ein Meister der Landschaftsfotografie und vor Bresson wohl einer der ersten Fotografen, die mit großen Plattenkameras umher tingelte und keine Zeit und Mühen scheuten, starke Kulissen abzulichten. Hier war die Fotografie vielleicht noch in seiner reinsten Form. Es könnte somit als einen weiten Vorläufer zur modernen Bildaufzeichnung von heute gelten. Weit weg von Computertechnik und ihrer Jünger, der KI.
Rosemarie
Rosemarie, die Oma meiner Freundin, welche ich in den letzten 8 Jahren ihres Lebens kennenlernen und begleiten durfte. Eine einfache Frau, gezeichnet von Nachkriegszeit und der Flucht aus Polen. Ein einfaches Leben, ein echtes Leben, aber ein Leben was seit gut drei Jahren nicht mehr existiert.
Ich habe länger nach der tiefen Motivation gefragt, die in uns steckt, wenn solche Technologien entwickelt werden und wir alle sie dann irgendwie nutzen. Sei es bloß die reine Neugierde oder doch der Wunsch gegen eine innere Akzeptanz anzutreten. Wenn ein Leben zu Ende ist, ist es eben zu Ende. Deep Nostalgia ist für mich der Versuch, etwas fortzuführen, sie es auch nur für wenige Sekunden. Vielleicht einfach Gott sein und geschehenes ungeschehen machen?
Über Hauntologie und den Wunsch die Vergangenheit am Leben zu erhalten (oder sie zu deuten)
In der Wissenschaft gibt es für einen derartigen Wunsch auch eine fachliche Herangehensweise: Hauntologie oder Hauntology.
Auf Wikipedia ist dazu folgender Satz sehr trefflich formuliert:
Grundgedanke ist dabei die „Heimsuchung“ der Gegenwart durch Ideen aus der Vergangenheit, wodurch die Endlichkeit jedweder Geschichte infrage gestellt wird.
Nochmal anders formuliert geht es in der Theorie (welche 1993 von Jacques Derrida entwickelt wurde) darum, sich der Vergangenheit zuzuwenden, um die Gegenwart zu verstehen. Das könnte der Ausgangspunkt sein, um nachzuvollziehen, wie wir an diesen Ort oder in diese Situation gekommen sind und um zu überlegen, was kommen wird.
Im 80er-Jahre Klassiker „Zurück in die Zukunft“ ist dieses Konzept sozusagen allgegenwärtig. Vielleicht liegt der Erfolg der Trilogie ja daran? 🙂
Nein, im Ernst: Erst das Konzept der Hauntologie macht begreiflich, warum Deep Nostalgia einen empfindlichen Punkt unserer menschlichen Seele trifft. Vergangenes, sei es auch nur für eine Sequenz, ungeschehen oder weiterleben zu lassen füllt eine Lücke.
In der konzeptionellen Fotografie dreht es sich regelmäßig um vergangenes, sei es die Aufarbeitung eines individuellen Schicksals oder der damit einhergehende Deutung gesellschaftlicher Veränderungen und Ihrer zukünftigen Auswirkungen (die, die meisten Menschen in der Gegenwart beschäftigen). So z. B. das wunderbar zarte Buch „Generation Ost“ von meiner ehemaligen Studienkommilitonin Kristin Trüb. Ein schönes Beispiel dieser Form von Hauntologie und der Vermischung von Vergangenem und der Gegenwart.
Wie weit darf KI gehen und was zeichnet einen Deep Fake aus
Das ist eine sehr spannende Frage und sicher werde ich in diesem Beitrag darauf keine Antwort geben können. Vielmehr möchte ich einen kurzen Einblick auf eine Unterart der Künstlichen Intelligenz eingehen.
Denn für Programme wie Deep Nostalgia sind Machine Learning der Kern ihres Prozesses. Ein Computer lernt Handlungen, ohne programmiert zu werden, allein das klingt schon so abstrakt, dass es sich die meisten Menschen nicht vorstellen können.
Fürs Erste reicht es aus, zu verstehen, dass Machine Learning das Ziel verfolgt aus einer riesigen Masse von Daten Muster abzuleiten. Aus diesen Mustern werden dann Algorithmen gebildet und Lernen diese von den Muster (Daten). So weit, so gut, Deep Nostalgia geht aber einen Schritt weiter und bedient sich sogenannter neuronaler Netzwerke.
Neuronale Netzwerke (womit dann Deep Learning gemeint ist) machen aus Millionen Bildern, auf denen Gesichtern sind (oder Bilderkennung im Allgemeinen), numerische Werte. Diese Werte können dann interpretiert werden und verbessern die Muster. Das Programm lernt also Stück für Stück selbst und am besten dann, wenn die Datenmengen riesig sind!
Die Frage, die ich mir also stellen muss, wenn ich Dienste wie Deep Nostalgia von MyHeritage betrachte ist: Inwiefern geht es hier um eine viel größeres Ziel? Nämlich das Sammeln dieser Datenmengen, vereinfacht gesagt, den Computer mit neuen Informationen zu versorgen?
Wenn ich dort ein Bild meiner verstorbenen Oma hochlade, gebe ich einen winzigen Teil an Informationen Preis, der in der Summe etwas erzeugt, was wir vielleicht gar nicht wollen?
Es klingt etwas nach Sci-Fiction oder einem Ausschnitt aus dem Terminator Film von 1984. Die Angst, dass Maschinen eines Tages unser Leben bestimmen, rückt irgendwie ein Stück näher. Wir sollten hier also ein klares und ruhig kritisches Auge auf derartige Entwicklungen haben. So bequem Sprachassistenten, intelligente Bildverarbeitungsprogramme oder komplexes, autonomes Fahren auch sind, sollten wir nicht vergessen, was uns Menschen ausmacht. Sonst rennen wir vielleicht irgendwann der Vergangenheit hinterher und lassen Sequenzen längst vergangener (analoger) Tage vor uns abspielen.